Die Geheimnisse der 100- Jährigen

Eine Sache, über die sich die meisten Menschen einig sind: wir wünschen uns ein langes, gesundes Leben – aber wie geht das nun richtig? Soll man Hormone nehmen oder Nahrungsergänzungen? Soll man jeden Tag joggen gehen, oder lieber Yoga machen? Soll man Bio-Fleisch essen oder doch lieber vegan? Manche meiner Patienten, die sehr ungesund leben, sagen mir oft so etwas in die Richtung „mir ist es egal,  dann sterbe ich eben ein paar Jahre früher“ – darauf antworte ich oft, dass es gar nicht so entscheidend ist, wie viele Lebensjahre man hat, sondern was für eine Lebensqualität man in seinem Leben, gerade auch im Alter hat. Und da herrscht auch Einigkeit, fast jeder möchte im Alter noch fit sein und nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein. 

Manchmal kommen sie zu mir, so richtig vitale, vor Energie nur so strotzende, sehr alte Patienten – das macht mir immer richtig Spaß. Und dann frage ich immer „was ist denn Ihr Geheimnis, dass Sie noch so jugendlich geblieben sind“ – die Antworten, die ich bekomme, decken sich IMMER mit dem, was wir heute aus Studien wissen:

 

Eine dänische Zwillingsstudie zu dem Ergebnis, dass der Einfluss der Gene auf unsere Lebenserwartung nur etwa 10 Prozent beträgt, die anderen 90 Prozent macht der Lebensstil aus, in anderen Studien ist der Wert etwas kleiner – aber insgesamt scheint es so zu sein, dass wir mit unserer Lebensweise einen großen Einfluss darauf haben, wie wir altern, wie lange wir leben, und vor allem, wie gesund wir dabei bleiben. 

Es gibt einige Stellen auf der Welt, da leben überdurchschnittlich viele fitte über 100-Jährige. Ein Team von amerikanischen Wissenschaftlern und der Autor Dan Buettner haben auf der ganzen Welt nach solchen Orten gesucht und über die Geheimnisse des langen Lebens geforscht. Die Stellen, an denen besonders viele alte Menschen leben, haben die Forscher auf einer Karte blau markiert und man nennt sie seitdem „blue zones“. Die bekanntesten und am besten untersuchten blue zones finden sich auf Sardinien, auf der japanischen Insel Okinawa, auf der griechischen Insel Ikaria, aber auch in Loma Linda in Kalifornien und in Costa Rica. 

Die Lebensweise dieser Menschen, obwohl sie an ganz unterschiedlichen Stellen leben und unter ganz anderen klimatischen Bedingungen, etc. ähneln sich verblüffend und daraus leiten sich einige Empfehlungen ab für ein langes, gesundes Leben: 

 

Die meisten 100 Jährigen haben viel natürliche Bewegung in den Alltag intergriert und sich ihr gesamtes Leben lang viel bewegt – gar nicht mal unbedingt so viel Sport gemacht, sondern sie sind in den Bergen gewandert, haben viel zu Fuß gemacht, und bis ins hohe Alter viel körperliche Arbeit verrichtet. Viele haben Gärten und sind viel in der Natur. Das deckt sich mit meinen Beobachtungen, meine fittesten älteren Patienten haben fast immer ihr Leben lang Sport gemacht, sich viel bewegt, haben oft noch eine gute Muskulatur, können problemlos noch auf einem Bein die Balance halten und sind noch gut beweglich. Nebenbei bemerkt, Muskulatur kann auch im Alter wachsen, wer skeptisch ist sollte die 80 Jährige Ernestine Sheperd mal googeln.

Maßvoll essen und trinken - in Japan nennt man das „Hara Hachi Bu“ und das bedeutet, den Magen beim Essen nur zu 80% zu füllen – so bleiben die Menschen auch im Alter schlank. 

Natürliche Ernährung - die Nahrung der 100-jährigen in den Bluezones ist überall sehr ähnlich: reichlich Gemüse und Obst, viele Hülsenfrüchte wie Bohnen und Linsen, etwas Vollkorn, viel unverarbeitete Nahrung, selbst gekocht, insgesamt sehr wenig tierisches Eiweiß, wenig Fleisch, wenig Milchprodukte. Dafür reichlich gute Fette. 

Natürliche Getränke -die meisten haben angegeben, überwiegend frisches Wasser, Tee, und ab und an mal ein Gläschen Wein zu trinken. 

Lebenssinn- in Japan nennt man das “ikigai” –oder „der Grund, warum du aufwachst“. Das sitzt die glücklich strahlende Ur-Ur-Ur-Oma mit ihrer Baby-Ur-Ur-Ur-Enkeltochter im Arm. Viele 100-Jährige in den blue zones stehen noch richtig aktiv im Leben. Viele sind bis ins Alter sehr neugierig. Die meisten waren sehr eingebunden in den Alltag, noch mit sinnvollen Aufgaben beschäftigt- kurz, noch richtig aktiv.

Gelassen bleiben und sich nicht stressen lassen -viele der 100 jährigen sind durch etliche schwere Lebensphasen gegangen, aber haben das, was man heute Resilienz nennt. Also die Fähigkeit, auch in stürmischen Zeiten cool zu bleiben. Viele hatten verschiedene Rituale zum Abbau von Stress, ob bei der Gartenarbeit, in der Natur, bei der Meditation.

Zugehörig fühlen- die 100 jährigen gaben fast alle an, in einer Gemeinschaft zu leben. Ob das eine Glaubensgemeinschaft war (die Adventisten in Loma Linda), oder die Großfamilie (Sardinien und Ikaria) oder eine nette Frauenrunde (Okinawa) – die Menschen fühlen sich zu einer Gruppe zugehörig und haben den Glauben an einen höheren Sinn im Leben. 

Familie und Freunde -nicht nur in den Bluezones, auch in anderen Langzeitstudien konnte gezeigt werden, dass ein verlässliches Netz an lieben Menschen der beste Schutz insbesondere für schwierige Lebensphasen sein kann – gemeinsam verbrachte Zeit, gemeinsames Lachen, gegenseitige Unterstützung – das scheint einen großen Unterschied zu machen. 

Das richtig Umfeld - in Studien konnte gezeigt werden, wie groß der Einfluss der engen Freunde auf die Gesundheit ist. Es macht einen Unterschied, was für einen Lebensstil enge Freunde und Familienmitglieder haben, was sie für gesundheitliche Werte haben und wie sie sich entsprechend verhalten. 

Ein schönes Beispiel für die Lebensweise der 100 Jährigen ist der amerikanische Arzt Dr. Ellsworth Wareham, der auf ein bewegtes Leben zurückblicken konnte. Erst mit 95 Jahren ist er in den Ruhestand gegangen, weil er etwas mehr Zeit mit der Familie verbringen wollte, bis dahin hatte er als Herzchirurg gearbeitet und hat noch mit 94 Jahren pro Monat bis zu 20 Operationen am offenen Herzen durchgeführt. Er selbst hat in einem Interview verraten, was in seinen Augen für sein hohes Alter wichtig war: überwiegend vegetarische, später sogar vegane Ernährung, eine sehr gelassene Lebenseinstellung (als Kriegsveteran hatte er gute Nerven), guter Schlaf, und viel Arbeit, die ihn immer begeistert und interessiert hat. In einem Interview hat er mal gesagt, wie schwierig er es als Arzt immer fand, Menschen zu gesünderer Lebensweise und insbesondere zu gesünderer Ernährung zu motivieren. Dass das aber gelingen kann, wenn man weiß, warum man das tut, und dann einfach hartnäckig dran bleibt, bis man sich daran gewöhnt hat – das ist eine Überzeugung, die ich restlos teile. Bis zu seinem Tod im Alter von 104 Jahren war er fit und mobil und auch geistig hellwach und klar - so wie sich das jeder wünscht!

 

Foto by Antevasin Nguyen on Unsplash

 

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